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Poseidon

am morgen
die flügel öffnen
und das gellende licht hereinlassen
den atem des einhorns fühlen

am tage
ohren und augen sprechen lassen
und im wogenden gras untertauchen
nach verborgenen drachen suchen

am abend
das pochen des herzens spüren
und zärtliche gedanken auf bauchnabel kritzeln
ozeane überfliegen

in der nacht
eine fischhaut anlegen
und zu den delphinen hinabsteigen
auf dem wagen des poseidon reiten

aufwachen
in freudiger erwartung
eines neuen tages

(Thomas Seilnacht)

Dieses Gedicht gewann einen Preis beim Berner Lyrikwettbewerb Stauffacher



Ruf der Eulen
(für Hans Magnus Enzensberger)

Nicht die Luft verpestet sondern
die Windgötter verlacht haben wir

Nicht die Flüsse vergiftet sondern
die Quellnymphen vergewaltigt haben wir

Nicht die Wälder gerodet sondern
die Eulen beleidigt haben wir

Nicht die Erde zubetoniert sondern
die Zwerge aufgebracht haben wir

Nicht die Wale dezimiert sondern
die Riesen erzürnt haben wir

Nicht die Städte angezündet sondern
die Wörter verbrannt haben wir

Nicht für nichts
verdorbenes Saatgut

(Thomas Seilnacht)

 

veröffentlicht in: Buck, P; Seilnacht, T.; Rehm, M., Der Sprung zu den Atomen, Bern 2004

 

Fotos und Gedichte im Buch >Bäume im Wasser